„Die gemobbten Mobber“ – Sinn und Unsinn des Mobbing-Konzepts bei Konflikten in der Arbeitswelt.

Wenn sich einzelne oder eine Gruppe von Menschen zusammentun, um eine Person zu diskriminieren und (psychisch) anzugreifen mit dem Ziel, diese Person auszugrenzen, bezeichnet man das heute als „Mobbing“. Der Verhaltensforscher Konrad Lorenz hat diesen Begriff als erster im Rahmen seiner Tierforschungen benutzt. Der schwedische Arzt Heinemann untersuchte das Phänomen von Gruppengewalt bei Kindern und adaptierte den Begriff (vgl. Heinemann 1972). Dem Psychologen Leymann ist es schließlich zu verdanken, dass „Mobbing“ als Konfliktgeschehen im Arbeitsleben zum festen Vokabular unserer Alltagssprache geworden ist.

Die Reaktionen von Laien, soll heißen von Menschen mit Berufs- und Lebenserfahrung ohne wissenschaftliche Reflexion auf den Begriff „Mobbing“ sind sehr unterschiedlich: von „das ist doch nichts Neues, das gab es schon immer…“ über „da wird etwas hoch gepuscht, eine neue Modeerscheinung…“ bis zu der Erkenntnis „Endlich verstehe ich, was damals mit mir passiert ist; ich konnte es bisher nicht in Worte fassen, aber jetzt weiß ich: ich wurde gemobbt!“

Gestoßen wurde ich auf dieses Thema sozusagen „en passent“. Leymann hatte gerade sein Buch „Mobbing“ veröffentlicht. Im Rahmen eines Seminarangebots zur „Gesundheitsförderung im Betrieb“, welches besucht war von Führungskräften, Mitarbeitern der Personalverwaltung und Personalräten griff ich 1993 das aktuelle Thema in einer kurzen Einheit auf. Und siehe da: das Thema Mobbing löste stärkste Resonanz bei den Seminarteilnehmern aus. Mindestens 30% konnten direkt aus Perspektive (ehemals) Betroffener berichten, und es gab eine Reihe Beteiligter, die aktuell in Mobbing-Prozesse eingebunden waren und die die Gedanken des Mobbingkonzepts als neue, hilfreiche Perspektive betrachteten.

Worin besteht nun der Nutzen des Mobbing-Konzepts?

  1. Wir benötigen Sprache, um in die Lage versetzt zu werden, Erfahrungen und Prozesse zu benennen, damit wir diese anschließend denkend (und emotional) verarbeiten können. Mobbing gibt dem Phänomen „(psychische) Gewalt am Arbeitsplatz gegenüber Schwächeren“ einen Namen. Plötzlich wurde das zuvor sprachlich Unfassbare identifizierbar und benennbar.
  2. Ein wesentlicher Teil des Mobbing-Konstrukts besteht in der Rollenaufteilung von Aktiven, Handelnden auf der einen Seite und einem Betroffenen, Leidtragenden auf der anderen Seite. Durch diese Einteilung der Welt in Täter und Opfer erfahren die Betroffenen Entlastung und „Ent-Schuldigung“ im ursprünglichen Wortsinn; nach Phasen voller Verzweiflung und Selbstvorwürfen oft das erste Mal nach einem langen Leidensweg.
  3. Die klare Trennung in Opfer und Täter schafft Schuldige und Nichtschuldige. Gegen identifizierte Täter kann entsprechend vorgegangen werden.
  4. Das Konzept macht deutlich, dass die Deutungsmacht über die soziale Situation, in der das Konfliktgeschehen angesiedelt ist, beim Peiniger, bei der Mehrheit, bei den Mächtigen liegt. Diesem wesentlichen Phänomen wird in Alltagskommunikation kaum Beachtung geschenkt.

Allerdings wirft das Mobbing-Konstrukt auch Probleme auf:

  1. Der Versuch Leymanns, Mobbing zu definieren, um es wissenschaftlich bearbeitbar zu machen (45 beschriebene Handlungen 1x pro Woche über 6 Monate), suggeriert die Vorstellung, das Mobbing immer zweifelsfrei diagnostiziert werden könne. Dies kann dann zu Problemen führen, wenn man es mit komplexen Konfliktsituationen zu tun hat, die eine eindeutige Zuordnung nicht zulassen bzw. die keine einseitige Unterlegenheit feststellen lassen. Wer den betrieblichen Alltag kennt, wird wissen, dass es durchaus auch Grenzsituationen geben kann.
  2. Das zugrunde liegende Erklärungskonzeot funktioniert nach dem Ursache – Wirkungsprinzip. Die typischen Phänomene der Kreisförmigkeit und Rückkopplung in der Kommunikation (s. Watzlawick et.al., Menschliche Kommunikation), bleiben aufgrund der Anforderung, wissenschaftlich relevante Daten vorlegen zu können, völlig unberücksichtigt. (Anmerkung: hier kommt ein Grundproblem wissenschaftlichen Arbeitens zum Ausdruck: Die immense Komplexität von Konfliktgeschehen im beruflichen Alltag muss so weit reduziert werden, dass Daten geliefert werden können, die wissenschaftliche Kriterien erfüllen.)
  3. Ein „persönlicher Anteil“ oder eine Mitverantwortung der Betroffenen wird ausgeschlossen.
    Richtig ist: in „echten“ Mobbingfällen haben die Opfer keine Chance. Dagegen können In vielen Konfliktsituationen die Beteiligten durch ihr eigenes Verhalten durchaus eine Veränderung der Situation herbeiführen.
  4. Das Mobbing-Konzept teilt die Welt in „Schuldige“ und „Unschuldige“. Allein die Nutzung des Begriffs „Mobbing“ in einem Konflikt am Arbeitsplatz erzeugt in der Wahrnehmung der Beteiligten eine Täter-Opfer-Konstellation.

Ein Seminarteilnehmer (Führungskraft) äußerte bei einem unserer Seminare zu Beginn bei der Erwartungsabfrage: „Ich möchte gerne wissen, ob ich ein Mobber bin.“ Die genauere Nachfrage zu dem Fall ergab, dass einer seiner Mitarbeiter ihn als Mobber bezeichnet hatte und dies im gesamten Unternehmen auch entsprechend kommunizierte. Hintergrund der Geschichte war: im Unternehmen, einer öffentlichen Verwaltung, waren ein halbes Jahr zuvor Zielvereinbarungsgespräche eingeführt worden. Bei der ersten Durchführung eines solchen Gesprächs lehnte der Mitarbeiter jede Absprache zu künftigen Zielen ab (O-Ton: „Ich lasse mich doch von Ihnen nicht festlegen oder unter Druck setzen…“) und wandte sich anschließend an den Personalrat. Der stellte sich an die Seite des Mitarbeiters – einem „Mobbingopfer“ muss ja schließlich Beistand geleistet werden. Hier wird das Mobbingkonzept ad absurdum geführt – ein Mitarbeiter macht sich den Mobbing-Begriff zunutze, um sich als Opfer zu präsentieren, um damit verbindliche Zielabsprachen vermeiden zu können. Dabei wird der vermeintliche Mobber schnell selbst zum Gemobbten.

Um eventuellen Missverständnissen vorzubeugen: Es gibt Situationen, in denen tatsächlich Menschen in Unternehmen und Organisationen massiv psychischem Druck ausgesetzt sind. Diese Menschen haben ein Recht auf Schutz ihrer Persönlichkeit! Und dies selbst gegen die Deutungsmacht einer Mehrheit! Andererseits: der heutzutage allzu leichtfertige Gebrauch des Begriffs Mobbing drückt vielleicht das subjektiv empfundene Leiden derjenigen aus, die den Begriff benutzen. Manchmal wird der Begriff gar, bewusst oder unbewusst, als irreführendes Machtinstrument missbraucht. Der Gebrauch des Wortes „Mobbing“ macht allerdings noch keine Aussage darüber, ob wir es mit „echtem“ Mobbing oder mit einem Konfliktgeschehen am Arbeitsplatz zu tun haben.

Darum ist eine Schulung von allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit Personalverantwortung so wichtig. Eine Schulung, die differenziert zwischen Mobbing und Konfliktsituationen am Arbeitsplatz. Und die Teilnehmer in die Lage versetzt, selbst zu differenzieren. In unseren Seminaren lernen Sie zu unterschieden zwischen Konflikt- und Mobbinggeschehen und Sie erhalten konkrete Tipps und Hinweise für den Umgang mit Mobbing- und Konfliktsituationen. Ziel ist das jeweils angemessene Handeln angepasst an die aktuelle Situation. Damit sowohl dem Schutzbedürfnis Betroffener als auch der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers Sorge getragen wird.